Mittwoch, 11. Juli 2012

Die letzten 5 Tage: Ab in die Wüste

Samstag, 07.07.2012

Die Idaho Falls im Morgenlicht
Endlich wieder auf's Rad.
Zwar war es sehr angenehm, für eine Woche mit 4 Rädern zu reisen und die letzten Tage in Idaho Falls waren toll. Doch nun freue ich mich darauf, wieder in die Pedalen zu treten. Nachdem ich mein Gepäck einmal komplett reorganisiert habe, trinke ich mit Ron einem letzten gemeinsamen Kaffee. Danach heißt es Abschied nehmen.
Danke nochmal für alles! Ich habe mich bei Euch sehr wohl gefühlt. Bis zum nächsten Mal! ;-)




Nun geht's ab in die Wüste und dementsprechend heiß wird es auch werden. Daher starte ich bereits um 6:45 Uhr. Dass ich einige Zeit nicht auf dem Rad saß, lassen mich meine Knochen jedoch ein wenig spüren. Muss sich wohl erst alles wieder einspielen. Auch Jolly macht nicht gerade Freudensprünge, dass er wieder in die Lenkertasche darf.
Das anfängliche Glücksgefühl, verbunden mit der Hoffnung, dass mein Hinterteil und mein Sattel auf wundersame Weise zu einer homogenen Einheit verschmolzen sind, weicht nach einigen Meilen wieder der Ernüchterung, dass dies nur eine Wunschvorstellung war. Und auch mein linkes Knie signalisiert mir am Ende des Tages erneut, dass es "not amused" darüber ist, wieder in die Pedale zu treten. Pech! Wir sind ja hier nicht bei "Wünsch dir was". Da geht's jetzt durch! Sind doch nur noch etwa 1200 Kilometer bis Portland. :-)

Viel Gegend in alle Richtungen
Bereits gegen 11 Uhr brennt mir die Sonne mit einer erstaunlichen Energie auf den Helm und weit und breit ist kein Schatten auszumachen. Wie gut, dass ich kürzlich bei einer Rest Area meine Wasservorräte aufgefüllt habe. Damit komme ich nach 111 Kilometern in Arco an, wo ich mich im schlechtesten Motel der gesammten Tour einmiete. Donner und Dori! So mieß sah es von außen gar nicht aus.
Irgendwo hab ich mal gelesen, dass der Mensch im Laufe seines Lebens, eine bestimmte Anzahl von Spinnen und Ungeziefer während des Schlafens vertilgt. Nun, ich schätze in der kommenden Nacht wird's hier eine tolle Proteinkur geben. Jamjam. Aber ich bin ja nicht mehr so zimperlich, also Augen zu und durch!

Auf dem Parkplatz komme ich mit Jeremie ins Gespräch, der mich zu einem Bier einlädt. Er ist Arzt und gerade im kleinen örtlichen Krankhaus stationiert. Feiner Kerl, daher reicht unser Gesprächstoff auch noch für ein zweites Bier, bevor sich der Weltuntergang ankündigt. Ein heftiges Gewitter zieht über Arco hinweg und ich bin froh, dass ich meine ursprünglichen Pläne, heute zu campen, über den Haufen geworfen habe.


Sonntag, 08.07.2012

Ich musste Jolly die Nacht mit zu mir ins Bett nehmen. Der Arme ist vom Feuerwerk in Idaho Falls noch immer etwas traumatisiert, weswegen ihm das Gewitter wohl wieder die Erinnerungen hochgespült hat.

Ich verlasse Arco und mache nach einigen Meilen kurz beim Craters of the Moon National Monument halt, einer vulkanischen Landschaft mit weiten Lavafeldern. Durch den Park selber führt eine 9 Meilen lange Panoramastraße, die ich mit dem Auto auch sicher gefahren wäre. Bei dieser Hitze teile ich mir meine Kräfte aber doch lieber etwas ein und verzichte auf die Fahrt. Somit nutze ich meinen Besuch im Visitorcenter hauptsächlich um Wasser zu tanken, denn es wird schon wieder ziemlich heiß.



Weiter geht es, immer weiter durch die Wüste. Was in Minnesota die Mais- und Kornfelder waren, ist hier Geröll und Strauchwerk. Doch der Rückenwind schiebt mich den gesammten Vormittag sehr gut vorwärts, sodass ich spontan entscheide, nicht beim angedachten Campground zu halten, sondern noch bis nach Fairfield zu fahren.


Nun, ich hatte wohl damit gerechnet, dass mir der Wind auch nachmittags noch wohlgesonnen sein würde. Doch das war leider ein Schuss in den Ofen. Und so kommt zu der Hitze nun auch noch der Gegenwind. Durch die erhöhte Belastung wird der Schmerzsensor in meinem Knie auch gleich wieder angeregt, vermehrt Signale an mein Hirn zu senden. Ob das so eine gute Idee war?

Da es in dieser Gegend eigentlich keine andere Ost-West Verbindung gibt, ist der Highway recht stark befahren. Ist ja auch Sonntag. Und eine Shoulder ist so gut wie nicht vorhanden. Folglich darf ich teilweise wieder akrobatische Übungen vollziehen, um nicht unter die Räder zu gelangen.

Etwa 10 Kilometer vor Fairfield, gerade als ich wieder einem anderen Verkehrsteilnehmer wild gestekulierend klar mache, dass ich mit seinem Überholmanöver nicht einverstanden bin, scherrt einige Meter vor mir ein Wagen auf den Randstreifen. An der Handbewegung des Fahrers erkenne ich, er möchte mit mir in Kontakt treten. Fein! Der war zwar nicht gemeint, doch ich bin gerade so schön geladen, dass wir nun aufpassen müssen, dass hier nichts eskaliert. Angespannt halte ich neben dem roten Autochen und blicke in ein freundliches Gesicht Es ist Randy, der mir gut gelaunt die Hand schüttelt und mich direkt fragt, ob ich "warmshowers.org" kenne. Er ist dort angemeldet und bietet in Fairfield kostenlos ein kleines Häuschen an. Wenn ich Lust habe, kann ich dort pennen. Leicht verwirrt muss ich grinsen. Natürlich kenne ich diese Website, doch damit habe ich ja gerade mal gar nicht gerechnet. Da ich noch kein Plätzchen für die kommende Nacht habe, nehme ich diese Einladung natürlich dankend an.

Abgekämpft und stehend K.O. erreiche ich nach 148 Kilometern Fairfield. Randy wartet schon bei dem Gästehaus auf mich und zeigt mir alles. Er lädt mich auch noch auf ein Bier zu sich ein, doch das würde mir heute den Rest geben, weswegen ich, ein wenig traurig, dankend ablehne. Kurze Zeit später schaut noch seine Frau Laura vorbei und lädt mich für morgen früh zum Frühstück ein. Wow! Manche Dinge geschehen, wenn man am Wenigsten damit rechnet. Life's good :-)


Montag, 09.07.2012

Nach dem tollen Frühstück bei Laura lässt sich der neue Tag auf dem Radl etwas gequält an. Der gestrige Tag steckt mir noch spürbar in den Knochen. Dafür sind es aber auch nur knapp 100 Kilometer bis nach Mountain Home, meinem heutigen Tagesziel.

Hier in Idaho stoße ich immer wieder auf den ursprünglichen Verlauf des berühmten Oregon Trails. Er ist die erste und wohl auch bekannteste Route, auf dem die Siedler mit ihren Planwagen damals nach Westen gezogen sind, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Man kann sich nur schwer vorstellen, welche Strapazen das gewesen sein müssen, in dieser sengenden Hitze und nur mit den einfachsten Mitteln überleben zu müssen. An manchen Stellen finden sich noch Überreste alter Siedlungsbauten. Ich wandere also auf dem Pfad der Geschichte.

The Devils Dive :-)
So karg die Landschaft ist, so schön ist sie aber auch und ich lasse mich von dem leichten Rückenwind über die Hügel tragen. Zumindest bis kurz vor Mountain Home. Da muss ich leider die Richtung ändern und aus dem leichten Rückwind wird ein starker seitlicher Gegenwind. Über Meilen habe ich nun eine Downhill Passage vor mir. Ich habe das Gefühl, dass mit jedem Meter, den ich an Höhe verliere, die Temperatur überproportional ansteigt. Aus dem starken Gegenwind wird somit ein heißer starker Gegenwind. Wahnsinn!

Ich denke, in Mountain Home habe ich den heißesten Punkt meiner Tour erreicht. Ich halte im örtlichen Wal-Mart und laufe orientierungslos durch die Gänge, einfach um mir etwas Kühlung zu verschaffen, bevor ich mich im Hilander Motel einmiete.

Dunkler Rauch über Mountain Home
Am späten Nachmittag werde ich noch Zeuge eines Wildfires, welches direkt vor den Toren des Ortes ausgebrochen ist. Der Verkehr wird von der Interstate durch die Stadt geleitet und dunkle Rauchwolken verdecken die Sonne. Löschflugzeuge kreisen und später am Abend kriecht der Duft des Feuers sogar unter meiner Zimmertür durch.
Zwar stehen andere Heimbewohner, genau wie ich, etwas ratlos schauend vor ihren Zellentüren, doch der Inhaber erklärt uns, in seiner freundlich indischen Art, dass dies um die Jahreszeit ganz normal sei und die Feuerwehr das schon machen wird. Also, kann nix mehr passieren. :-)



Dienstag, 10.07.2012

Da mir mein Knie ein wenig Sorgen bereitet, lege ich heute einen Day Off ein und nutze die Zeit für meinen ersten amerikanischen Friseurbesuch. In Downtown Mountain Home finde ich Patsy's Hair Design, wo mir ein Haarschnitt für 12 Dollar angeboten wird. Ich komme sogar ohne Wartezeit direkt dran. Nun, ich lasse noch längst nicht Jeden an mein Haupthaar, doch ich bin auf einer Biketour, und da zählt nur der praktische Nutzen. Also Eitelkeit abgelegt und rein in den Laden. Ich meine, 12 Dollar für Schneiden und Waschen, günstiger bin ich noch nie zu einer kürzeren Frisur gekommen. Das Ambiente gleicht allerdings eher dem kargen Charme einer etwas zu groß geratenen Döneria. Auch ist für 12 Dollar nur der Grobwaschgang enthalten. Die Dame rubbelt mir den Schädel, als würde sie mir Hornhaut entfernen wollen. Nach gefühlten 20 Minuten ist die Sache gelaufen, frei nach dem Pit-Stop-Prinzip: "Rein, rauf, runter, raus". Das Ergebnis kann sich jedoch durchaus sehen lassen. Ich bin zufrieden und auch Jolly teilt meine Einschätzung der Lage.


Mittwoch, 11.07.2012

Nachdem ich Ann & Chuck, meine heutigen Gastgeber, gestern nochmal vertrösten musste, will ich sie heute jedoch nicht warten lassen. Über die Interstate 84 mache ich mich auf den Weg nach Boise. Konnte ich bisher geschickt alle Fahrten auf Interstates vermeiden, bleibt mir heute jedoch keine andere Wahl. Es führt nur dieser eine, geteerte Weg nach Boise. Die Fahrt ist jedoch nicht so schlimm wie ich zunächst vermutet hatte. Zwar rauschen hier die dicken Trucks mit einem Höllenlärm an einem vorbei, doch die Shoulder ist sehr breit und gut befahrbar. Viele Verkehrsteilnehmer weichen netterweise sogar auf die linke Spur aus, um mir einen größeren Überlebensspielraum zu geben. Da habe ich mich auf anderen Gassen schon erheblich unsicherer gefühlt.

Ein großes Problem ist jedoch der ganze Müll, der auf der Shoulder rumfliegt. Jede Menge zerfetzter Reifen und Teile der Karkasse mit dem dünnen Drahtgewebe, dass natürlich Gift für meine Pellen ist. Und so kommt, was kommen musste: Ich habe meine zweiten Platten. Toll! Auf der Interstate. Und kein vernünftiger Platz zum Reifen wechseln.

Ich mag mich mit dem Gedanken nicht so recht anfreunden und so versuche ich zunächst mal wieder einen Pickup Truck anzuhalten. Ich winke also hilfsbedürftig in den Verkehr hinein, doch man winkt mir nur freundlich zurück. Unglaublich! Was denken die? "Oh da steht ein netter Mensch mit einem Fahrrad auf der Interstate und winkt mir zu. Das ist aber freundlich. Winke Winke." Unfassbar.

Frei nach dem Motto "Einmal ist immer das erste Mal" habe ich heute also Premiere im "Reifen wechseln auf der Autobahn". Nach getaner Arbeit nehme ich die Straße wieder unter die Reifen, in der Hoffnung, mich nicht wieder in einem Drahtnetz zu verfangen.
Wieso lassen die den ganzen Müll hier rumliegen? Nach mir die Sintflut? Wird schon Jemand wegräumen? Ne! Räumt nämlich keiner weg!

Chuck, der Olli, Rebekah, Sarah
Wie eine Oase in der Wüste begrüßt mich die Hauptstadt Idahos. Entlang des "Boise Greenbelt" fahre ich, immer entlang des Flusses, quer durch die ganze Stadt, verweile an diversen Punkten und lasse die Umgebung auf mich wirken. Wirklich schön.

Ann erwartet mich schon. Vor über 20 Jahren ist sie aus der Fuldaer Region (unser hessisches Fulda) in die Staaten ausgewandert. Daher klappt die Verständigung auf anhieb, auch wenn ihr nicht mehr jedes Wort sofort auf Deutsch einfällt ;-)

Milow, mein neuer Spielkumpel
Zusammen mit ihren Kindern und ihrem Mann Chuck verbringen wir einen gemütlichen und sehr schönen BBQ Abend. Habe noch nie so große Steaks gegessen. Sehr lecker. Ich bekomme sogar noch eine Stadtrundfahrt, vorbei am Capitol.
Und ihr Hund Milow hat nach anfänglichen Berührungsängsten schließlich einen neuen Spielkumpanen gefunden. Der Kerl ist wirklich zu putzig. Wäre ich mit dem Auto da, würde ich ihn wohl klauen :-)

          



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