Da ich gestern bereits gegen halb 9 Uhr eingpennt bin, liege ich die halbe Nacht wach; und mit mir Jolly, der mich nicht auf die Uhr schauen lässt. Ich solle mich ruhig verhalten, damit uns der Bär nicht hört. Ich tue ihm den Gefallen.
Kalt ist es. Schweinekalt. So warm wie ich zunächst dachte, ist mein neuer "Deuter Exosphere" Schlafsack doch nicht. Ich ziehe alles zu was an Kapuze da ist, doch irgendwann ziehe ich mir noch Hose und Pulli an. Das hätte ich schon früher machen sollen. Kurzzeitig überlege ich, ob ich noch ein Lagerfeuer entzünde. Doch Jolly verbietet es mir; der Bär.
Mit dem ersten Zwitschern der Vögel schlummere ich dann doch nochmal weg.
Jäh werde ich aus dem Schlaf gerissen und verfalle im gleichen Augenblick in Totenstarre. Direkt neben mir, außerhalb des Zeltes, hechelt mich etwas an. Mein erster Gedanke löst sich innerhalb einer Sekunde jedoch in Luft auf, als ich Stimmen vernehme. Da geht nur jemand Gassi. Ja Servus Kaiser! Dieses "seien Sie vorsichtig, Sie befinden sich im Bärengebiet" hätten sich die Parkranger gestern schenken sollen! Da kommt man ganz komisch drauf.
Gemütlich packe ich zusammen, frühstücke eine Kleinigkeit und genieße noch den Morgen. Und dann: Hügel, Hügel, Hügel. Nicht enden wollend. Hat man einen Hügel erklommen, darf man ihn wieder runter fahren, um direkt den nächsten Hügel in Angriff zu nehmen. So schön auch die Landschaft ist, es ist anstrengend!
Unterwegs treffe ich auf Gregory der bei einer kleinen Villa mit Rasenmähen beschäftigt ist. Als ich ihm von meinem Trip erzähle, ist er begeistert und verfällt in einen Redeflash. Sowas ist auch sein Traum, aber Kinder und neuer Pickup Truck, da muß er leider darauf verzichten. Prompt lädt er mich zu sich nachhause ein. Ich könne dort pennen. Gerne würde ich seine Einladung annehmen, doch liegt sein Haus leider nicht ganz auf meiner Route.
Inzwischen habe ich New Jersey hinter mir gelassen und befinde mich in New York State. Ein Welcome Schild ist jedoch nicht an mir vorbei geflogen. Dabei wollte ich doch Fotos machen, wenn ich einen neuen Bundesstaat erreiche :-(
Ich kämpfe mich weiter in ein ziemlich hässliches Port Jervis. Da seit einiger Zeit ein Knacken von der linken Pedale zu vernehmen ist, nutze ich die Gelegenheit und suche den örtlichen Bikeshop auf. Vor der Eingangstür kommt ein Typ mit ernster Mine auf mich zu und meint:
"Don't get in, these guys are nasty".
"Really" erwidere ich etwas verwirrt und trete von der Eingangstür zurück.
Seine ernste Mine weicht einem Lacher und er öffnet mir die Tür. Es ist Norm, der Besitzer des Ladens. Ein symphatischer Spaßvogel um die 50. Ich schildere ihm mein Problem, doch nach fachmännischer Prüfung und Nachjustierung kann er kein ernsthaftes Problem feststellen. Wenn ich schonmal da bin, lasse ich mir noch ordentlich Luft auf's Gummi geben.
Auf meine Nachfrage, was ich schuldig bin, winkt er nur lächelnd ab. Service des Hauses. Er wünscht mir eine gute Zeit und entlässt mich aus seinem Laden. Wirklich sehr nett.
Da es offensichtlich kein wirkliches Low-Budget Motel "in town" gibt, entscheide ich mich für das Days Inn am Interstate Highway. Mit dem Fahrrad ist das leider nicht so einfach wie mit dem Auto. Wenn die Motels einige Kilometer auseinander liegen, überlegt man sich schon, welches man ansteuert.
Nachdem der Kollege am Empfang mir den Preis mitteilt, kippe ich jedoch fast nach hinten um. Dass ich den Laden nicht kaufen will, hab ich schon auf der Zunge liegen, schlucke es jedoch wieder runter. Das nächste Motel - ein Best Western - liegt am anderen Ende der Stadt und ist sicher nicht billiger.
Mit Widerwillen reiche ich ihm meine Kreditkarte. In Gedanke sehe ich mich, wie ich ihn dafür Ohrfeige, dass er einem armen Tourenradfahrer keinen Discount gibt. Offensichtlich bin ich noch von gestern verwöhnt.
Den Rest des Tages verbringe ich mit Waschen und Routenplanung und genieße nochmal ein Bett, da es fraglich ist, wann ich wieder eins sehe.
Tagesbilanz
52 km - 600 Höhenmeter
Unterwegs von 9:30 - 15:30
Schnitt 16,9 km/Stunde (bei der Achterbahn is für mich nich mehr drin)
Kaiserwetter, leichter Wind
Übernachtung: Days Inn in Port Jervis - Halsabschneider!
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