Raus hier! Den Mock hält ja kein Mensch aus. Dem Schlafsack könnte ich jetzt schon ne Generalüberholung spendieren und ich bin erst ein paar Tage unterwegs. Nach so einem ganzen Tag auf'm Rad ist man durch den eigenen Bratensaft richtig gut durchgegart. Jolly macht schon ständig beleidigende Bemerkungen aber helfen will er auch nicht. Der ist stinkfaul. Und wer will schon duschen, wenn man abends am Campground ankommt. Dann folgt die Vorbereitung des Lagers, Essenszubereitung und -einnahme, ja und natürlich das Feuerchen. Da bleibt einfach keine Zeit.
Mein Frühstück beschränkt sich zunächst mal auf ein kompaktes Magnesium/Calcium Präparat. Werde mir unterwegs was schießen. Apropos: In den letzten Tagen sind mir jede Menge Viecher begegnet, die die Beinchen in die Luft gestreckt hatten. Das Essen liegt hier im wahrsten Sinne auf der Straße. Einige Male hab ich schon kurz drüber nachgedacht, dass die bestimmt noch genießbar wären, wenn man sie gut durchgrillt. Nein, ich mach nur Spaß ;-)
Direkt im State Park gibt's nen Wasserfall, dem ich einen kurzen Besuch abstatte. Dort treffe ich auf zwei Rentnerpärchen, die einfach nicht glauben wollen, dass ich nur mit dem Fahrrad unterwegs bin. Kurzfristig denke ich darüber nach, zu lügen und zu sagen, dass mein Auto um die Ecke steht, ich jedoch für kurze Fahrradausflüge immer mein ganzes Gepäck mitnehme. Aber ich bleibe bei meiner Geschichte und muß ihnen versprechen, dass ich gut auf mich aufpasse. Süß gell :-)
Ich bin nur wenige Meter gefahren, als ich in Ithaca einen kurzen Breakfast Stop einlege. Kurzzeitig überlege ich, ob ich heute einen Day off einlegen und mir ein Motelzimmer im Ort nehmen soll. Meine Motivation lässt nämlich zu wünschen übrig. Letztendlich überredet mich Jolly einige Meilen zu fahren und wir machen uns auf den Highway 89 North entlang des Cayuga Lake.
Bisher hab ich mich immer über jedes Lüftchen gefreut, was mir an den Hügeln eine kleine Erfrischung bescherrt hat. Doch als ich heute die Route 89 in Richtung Westen verlasse, offenbart sich mir ein neues Feindbild: der Gegenwind. Das ist der Punkt, an dem Freunde zu Feinden wurden. Doch ich bin sicher, dass das erst der Anfang ist. Im weiteren Verlauf wird mich sicher noch genügend Gegenwind erwarten. Daher kämpfe ich mich die Steigungen hoch. Und irgendwann sehe ich wieder Wasser: den Seneca Lake, der ein paar Meilen westlich liegt. Augrund der Anordnung der verschiedenen Seen nennt man diese Region die "Finger Lakes".
Eigentlich will ich ja noch bis Geneva fahren, um mir dort ein Motelzimmer zu gönnen. Doch da Memorial Weekend ist, befürchte ich, dass es recht teuer sein wird. Daher beschließe ich kurzerhand, am Campground im Sampson State Park, einige Meilen vor Geneva, zu fragen. Und siehe da, es ist noch eine schattige Campsite frei. Der Preis ist allerdings der Hammer, da sich zum Grundpreis noch diverse Gebühren addieren. Wochenendaufpreis, Non-Resident-Aufpreis, Aufpreis für nur eine Übernachtung. Aber sicher noch deutlich günstiger, als ein Motel in Geneva. Also nehme ich die Site, frohen Mutes, wieder mein kleines Feuerchen machen zu können.
Leider ist der Platz so ganz anders, wie meines bisherigen Campgrounds, weniger anonym. Malle kann nicht schlimmer sein. In allen Himmelsrichtungen Nachbarn, mit direktem Blickkontakt. Das kann ich ja gar nicht gebrauchen. Zu allem Überfluss, fahren die Kinder eines Nachbarn mit ihren Rädern ständig auf meinem Grundstück rum und erzählen mir, dass ihre Zelte ja größer sind, als meins. Außerdem haben sie ein Mobile Home dabei. Na und?! Wenn ich Vater, Mutter, Oma, Opa, Bruder, Schwester, die halbe Verwandschaft und Köter dabei hätte, wäre ich auch ganz anders aufgestellt! Das will ich mir nicht geben und suche das Weite. Zunächst rette ich mich in das nahe gelgene White-Head-Restaurant. Den Namen habe ich der Bar gegeben, da hier ausschließlich Renterrinnen die Küche schmeißen. Komme mir vor, wie bei den Golden Girls. Aber sehr nett die Omis :-)
Um nicht wieder zurück zu meiner Campsite zu müssen, suche ich nach Alternativen. Zum Glück ist der See nicht weit und so mache ich es mir auf einer Bank bequem und genieße meinen ersten Sonnenuntergang. Beautiful!
Tagesbilanz
72 km - 520 Höhenmeter
Unterwegs von 9:00 - 16:00 Uhr
Schnitt 17,4 km/Stunde
Heiter bis wolkig. Ziemlich windig mit meinem ersten richtigen Gegenwind.
Übernachtung: Campground im Sampson State Park, NY
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